Interview mit der Künstlerin / Christiane Bühling, 1996

Cornelia Schleime
Ich folge einer inneren Sehnsucht ...

Ch.B.: Deine Produktion der letzten 12 Jahre wirkt auf den ersten Blick sehr heterogen. Du hast
sehr unterschiedliche Motive verarbeitet: Mäuse, Porree, Kaffeekannen, Frauenportraits, Mädchen
mit Zöpfen. Man überlegt natürlich als Betrachter, was haben diese verschiedenen Sujets eigent-
lich gemeinsam, oder sind es serielle Arbeiten, die abrupt beendet werden und letztlich gar nichts
miteinander zu tun haben?

C.Sch.: Die Gemeinsamkeit aller Arbeiten ist der subjektive Ausgangspunkt, der meist aus dem
persönlichen Erleben entsteht. Die weitere Gemeinsamkeit ist natürlich der Hang zur Übertrei-
bung, zum Ironischen und Theatralischen. Wenn man zum Beispiel den Porree nimmt, - was hat
der Porree mit der Maus oder mit dem Zopfmädchen zu tun? So ist der Porree maßlos übertrie-
ben in der Länge des Formats, das Mädchen hat lange Zöpfe, die fast bis zur Erde reichen oder,
die sich um den Körper schlängeln können - und die Maus hat auch einen ewig langen Mäuse-
schwanz. Die Gemüseserie habe ich abrupt abgebrochen, nämlich dann, als ich merkte, daß ich
inhaltlich dem nichts mehr hinzufügen konnte.

Ch.B.: Conny, es gibt Bilder, in denen Du mit sehr viel Ironie, Witz und Übertreibung arbeitest,
in denen starke Anklänge an Gesellschaftskritik zu finden sind, wie zum Beispiel bei den
Soldatenbildern oder Deiner künstlerischen Aufarbeitung von Stasiakten. In anderen Bildern
dominiert Zartheit, Zerbrechlichkeit. Ist das für Dich ein Widerspruch oder sind das zwei wich-
tige Stränge in Deinen Arbeiten, die eigentlich zusammengehören?

C.Sch.: Das Zarte kommt besonders in den Zeichnungen zur Geltung, die intuitiv aus mir ent-
stehen. Es bedarf eigentlich überhaupt keiner Anstrengung. Diese Zeichnungen sind in mir, es
fließt, und das ist das, was ich kann. Diese Leinwandbilder, ob es die Zöpfe sind oder die Mäuse,
bilden für mich eine Herausforderung. Das Aquarell oder die Wasserfarbe, liegt mir sehr, das liegt
in meiner Natur, bei den Leinwänden ist das Material sperriger, das Arbeiten an sich ist spröder,
so wie auch ich während des Malprozesses spröder werde und eigentlich nicht mehr ansprechbar
bin. Die großen Formate brauche ich, um mich selber lebendig zu erhalten, genau diesen
Gegensatz von groß und klein, leicht und schwer. Das ist ähnlich wie bei McLaughIin, der sagte,
wenn man gut Gitarre spielen kann, dann sollte man Klavier spielen lernen. Das ist genau dieser
Punkt, wo ich merke, die Zeichnung und das Aquarell, das kann ich sehr gut und deshalb muß
ich mir diese etwas schwereren Bilder, z.B. diese Zopfmädchen, erarbeiten.

Ch.B.: Man sollte eigentlich nicht von der Persönlichkeit eines Künstlers Rückschlüsse aufseinen
Malstil ziehen, aber weil Du selbst sagst, daß das Subjektive für Dich stark ausschlaggebend ist,
möchte ich Dich in dieser Richtung etwas fragen. Du bist ein sehr quirliger, impulsiver Mensch,
Deine Bilder wirken aber trotz ihrer Lebendigkeit sehr ausgewogen und klar. Findest Du im
Malprozeß, eine Ruhe und Ausgeglichenheit, die Du vielleicht in der Realität nicht findest?

C.Sch.: Mit dem Malprozeß finde ich zu mir selber, und ich bin im Grunde dann quirlig, wenn
ich nicht male. Das heißt, beim Malen dringe ich zu meinem eigentlichen Wesen vor, das viel
ruhiger ist. Aber das Leben in der Gesellschaft zwingt mir permanent Reaktionen ab, und nur
wenn ich male, muß ich nicht reagieren, das heißt, ich muß mich nur auf mich selbst konzen-
trieren. Deshalb brauche ich dieses Malen. Ich folge einer inneren Sehnsucht nach etwas, von dem
ich selbst nicht weiß, wie es aussieht, das in der Arbeit aber Gestalt annimmt.

Ch.B.: Man weiß viel über Deine DDR-Biografie, über die Entwurzelung aus der Heimat nach
Deinem Weggang aus der DDR, über den Identitätsverlust, auch über den Verlust Deines gesam-
ten Nachlasses. Du konntest kein Bild mitnehmen in die Bundesrepublik, und nun hast Du Dich
in den letzten zwei Jahren noch einmal künstlerisch mit Deinen Stasi-Akten auseinandergesetzt,
in sehr ironischer Manier, eigentlich ohne Verbitterung. Ist dies wirklich so? Ist dieses Thema jetzt
für Dich persönlich und künstlerisch abgeschlossen?

C.Sch.; Ich denke, das Thema war schon vorher für mich abgeschlossen, sonst hätte ich das
Thema der Stasi-Akten gar nicht ironisch in diesen Selbstdarstellungen verarbeiten können.
Ich hätte diese Form früher aus der unmittelbaren Betroffenheit auch nicht wählen können, aber
als ich damit konfrontiert wurde, lag bereits die Zeit, die ich im Westen lebte dazwischen, in der
ich sehr glücklich war, und daheraus war auch eine Distanz zu den Absurditäten dieser DDR da.
Es war ohnehin nach dem Verlust meines gesamten Werkes für den Neuanfang im Westen not-
wendig, die Vergangenheit abzuwerfen, nach vorn zu sehen und mich in die Arbeit zu stürzen, -
vor allem auch, um wieder Bilder für mich selbst zu haben!

Ch.B.: Deine ganze DDR-Erfahrung, die rigide Unterdrückung von Individualität und Deine
persönliche Befreiungsaktion daraus haben Dich entscheidend geprägt. Aber ist es in Deinem heu-
tigen Malprozeß wirklich noch so, daß das einen Einfluß hat?

C.Sch.: Ich glaube generell und beziehe hier die Zeit im Osten mit ein, daß Unterdrückung oder
Einschränkungen, die ich erfuhr, die Malerei nicht beeinflußten. Die Malerei war oder ist für
mich keine Verarbeitungsmaschine für politischen oder persönlichen Notstand. Ich litt sowieso
mehr unter der Provinzialität der DDR, als unter ihrer Politik, deshalb kreisten unsere Gespräche
im Osten auch so oft um das »Universelle«. Nein, verarbeiten kann ich mit meiner Malerei nichts.
Mein Arbeiten soll zweckfrei sein, nur so kann ich mir neue Räume erschließen.
Im Osten habe ich einem Bullen, der am Grenzübergang Friedrichstraße stand, eins mit dem
Regenschirm drübergezogen - das war die Form, meinem Frust Platz zu verschaffen, - nicht der
Pinsel!

Ch.B.: Jetzt müssen wir doch wieder den Begriff der DDR verwenden. Du hast zu Deinen DDR-
Zeiten viele experimentelle Dinge gemacht: Schmalfilme, Performances. Ist das heute alles ein
bißchen in den Hintergrund getreten, malst Du vorrangig? Oder gibt es immer noch die experi-
mentierfreudige Conny?

C.Sch.: Ich habe die Schmalfilme oder Performances gar nicht als Experiment gesehen, es war nur
eine andere künstlerische Form, die sich aus einer Situation ergab. Mich langweilten die DEFA-
Filme, die waren unkünstlerisch - ich wollte es besser machen, daß es nur Super 8-Filme waren,
störte mich dabei nicht. Zur Zeit arbeite ich an eher stillen Bildern, da mich Stille mehr provo-
ziert als Aktion. Das »in sich Ruhende« ist ein Luxus, den ich selber leider nicht leben kann, ich
kann es mir aber leisten, solche Bilder zu malen. Mit Sicherheit werde ich keine Performances
mehr machen, es hat sich bei mir 'ausperformancet', es sei denn ein herrenloses Klavier steht
irgendwo rum, und die Zuhörer haben schon vorher das Weite gesucht. Auf die Performances
stürzten sich im Westen ja viele Frauen, da dies eine Kunstform war, die traditionell nicht von
Männern besetzt war wie die Malerei, da es darin keine Tradition gab. Hier konnten die Frauen
ihre Befindlichkeiten austoben, ohne daß sie dem Vergleich mit den »Heroen« der Kunstge-
schichte standhalten mußten, wenn sie zu Erfolg gelangen wollten.
Ich liebe aber die »Heroen« und hasse die »Alternativen« - das heißt, ich stelle mich bewußt in den
Kontext der durch Männer geprägten Traditionslinie der Malerei!

Ch.B.: Jetzt wollen wir aber endgültig weg von Ost/West. Du bist schließlich weiter in der Welt
herumgekommen, Du warst längere Zeit in Indonesien und hattest auch ein Stipendium in New
York. Was hatten diese Reisen für Dich für eine Bedeutung, was hast Du von diesen Reisen in
künstlerischer Hinsicht mitgebracht?

C.Sch.: Ich nehme auf jede Reise immer ein großes Skizzenbuch mit, und das Schöne daran ist,
ich setze mich an den Straßengraben und zeichne alles, was mir in den Weg kommt. Daraus ent-
steht dann ein Zettelkasten für meine Bilder, eine Collage aus flüchtigen und elementaren
Momenten. Diese Reisetagebücher sind dann soetwas wie meine Trophäen aus fremden Ländern.

Ch.B.: Persönlich bin ich immer wieder sehr fasziniert von Deinen wunderschönen Zeichnungen
insbesondere zum Thema Frauen. Frauen kostümieren sich, bewegen sich elegant, sind verspielt,
es herrscht eine lustvolle Stimmung. Steckt hier ein utopisches Element in Deinen Arbeiten, sind
es Deine eigenen Sehnsüchte und Wünsche, die sich hier darstellen?

C.Sch.: Ich denke, es ist schon eine Form von Selbstutopie, dieser Blick auf das Selbst ist eine
romantische Vorstellung von einem friedlichen Miteinander. Auf diesen Bildern sind große und
kleine Figuren, jede Figur hat ihren Platz, und sie treten nicht in Aggression zueinander. Ich erin-
nere mich an meine erste Zeichnung, die ich gemacht habe, es war im Religionsunterricht, wir
sollten das Paradies zeichnen, und da habe ich Löwen, Mäuse, Tiger, Katzen und Schafe und alles
im friedlichen Miteinander gezeichnet. Vielleicht habe ich mir diese kindliche Vorstellung be-
wahrt, den romantischen Blick, daß das Große mit dem Kleinen kann, und daß diese gegensätz-
lichen Dinge miteinander sind, ohne sich zu zerstören, - dies lebe ich allerdings nur beim
Zeichnen aus. Meine Malerei ist mehr von der Verzweiflung geprägt, diese Sehnsucht in der
Wirklichkeit nicht realisieren zu können.

Ch.B.: Zum Schluß möchte ich Dich fragen Conny, ob es künstlerische Wünsche in Dir gibt,
Ideen, die in Dir schlummern, die Du gern einmal umsetzen möchtest? Stell' Dir vor, Du müßtest
keinerlei Rücksicht auf Finanzen oder Bürokratie nehmen.

C.Sch.: Das, was in mir schlummert, bricht erst durch das Arbeiten selber aus. Das, was ich mir
wünschen würde, wäre ein schöner gesicherter Raum, wo ich arbeiten kann. Einen großen Raum,
den ich verlassen kann und weiterziehen kann, wenn er voll ist. Seit meinem 18.Lebensjahr mußte
ich alle 3 Jahre umziehen, ich wünschte mir, nur noch alle 10 Jahre umziehen zu müssen.

Dieses Gespräch führten Christiane Bühling und Cornelia Schleime am 16. Oktober 1996 im
Atelier der Künstlerin.

Das Interveiw wurde zuerst veröffentlicht in: Cornelia Schleime, Arbeiten von 1985 - 1996, Hrsg. Galerie Michael Schultz, Berlin 1996